Walter K. wollte nur noch eines: schnell sterben. Verzweifelt zog sich der 34jährige Bodybuilder aus dem niedersächsischen Verden am Abend des 15. März 1997 in seine Wohnung zurück, leerte eine Flasche Whisky.
Völlig betrunken mißlang der Versuch, sich mit einem Starkstromkabel das Leben zu nehmen. Dann schnippelte Walter K. ungelenk an seinen Pulsadern herum – wieder vergeblich. Beim letzten Versuch griff der Steinmetz zu einer Pumpgun und schoß sich in den Mund. Er war sofort tot.
Der Selbstmord des Muskelmanns alarmierte die deutschen Kriminalbehörden. Denn die Ermittler stießen in Verden auf die Fährte einer international operierenden Doping-Mafia. In der Wohnung von Walter K. fand die zuständige Kripo Celle stapelweise muskelaufbauende Anabolika-Präparate. Das verbotene Teufelszeug, gepanscht und über den Schwarzmarkt verhökert, hatte den Kraftprotz in schwere Depressionen gestürzt.
Nach einjährigen Ermittlungen sprengten die Fahnder jetzt den Ring krimineller Anabolika-Händler. Die Spur führte von Verden nach Niederbayern: Sechs Männer aus Deggendorf hatten seit 1993 mehrere Millionen Mark durch das illegale Geschäft mit den gesundheitsgefährdenden Mastmitteln kassiert.
Seit vergangener Woche steht fest: Etwa 600 000 Anabolika-Einheiten aus der aufgeflogenen Deggendorfer „Giftküche“ sind noch auf dem Schwarzmarkt, schätzt die Polizei und warnt: „Die Präparate sind willkürlich zusammengepanscht. Wer die Mittel schluckt, spielt mit seinem Leben“, so der Celler Hauptkommissar Jörg Markel. Die gesundheitlichen Folgen des Dopings reichen von Depressionen über schrumpfende Hoden bis zum Tod durch Herzinfarkt (Kasten S. 42).
Starke Männer in Gefahr. Ralf Schröder, Fitneßstudio-Besitzer aus Darmstadt und seit 16 Jahren im schweißtreibenden Geschäft, weiß: „Fast jeder engagierte Bodybuilder hilft mit Anabolika nach.“ Der Hamburger Michael W. schluckt und spritzt seit zwei Jahren alles, was auf dem Schwarzmarkt zu haben ist. 500 Mark pro Woche investiert der Versicherungskaufmann in seinen gestählten Körper: „Nie habe ich mir Gedanken über die Risiken gemacht. Jetzt laß“ ich die Finger von dem Zeug, ich bin doch nicht lebensmüde.“
Jagd auf die Panscher-Bande. Die Celler Fahnder kamen den Pillendrehern durch einen unfreiwilligen Lockvogel auf die Spur. In der Wohnung des toten Walter K. fanden sie, versteckt unter Tabletten und Fläschchen, die Adresse des Zwischenhändlers Sven M. Der Dealer, selbst ehemaliger Amateurmeister im Bodybuilding, ging in den Studios im Raum Verden auf Kundenfang. Kaum hatte der Händler ein Opfer aufgetan, erstellte der 31jährige wöchentliche Pillen-Pläne, im Szene-jargon „Kuren“ genannt.
An die Fersen des Anabolika-Verkäufers hefteten sich die Ermittler. Der Liebhaber von tiefergelegten Sportwagen traf sich an Autobahnraststätten mit den Hintermännern aus Bayern. Die Fahnder beobachteten, wie Sven M. kartonweise Anabolika-Präparate in seinen Kofferraum hievte. In den Kraftstudios trauten die Observierer ihren Augen nicht: Der Doping-Verführer überredete sogar 13jährige, die Tabletten (Stückpreis ab einer Mark) und Ampullen (bis 300 Mark) zu nehmen.
Zum großen Schlag holten die Ermittler Ende Dezember 1997 aus: Zeitgleich stürmten Polizisten europaweit 47 Wohnungen, Bodybuilding-Studios und Büros, verhafteten die sechs Köpfe der Bande und vier Zwischenhändler. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung und schwerer Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Etwa 80 Ermittlungsverfahren laufen derzeit. Hauptkommissar Jörg Markel: „Die Ermittlungen ziehen immer größere Kreise. In den nächsten Wochen werden weitere Objekte im europäischen Ausland durchsucht.“
Alle Drähte der Mucki-Mafia liefen in Deggendorf zusammen. In einer unscheinbaren Scheune mixten die Hobbychemiker ihre Hormoncocktails, verkauften sie als Tabletten und Ampullen europaweit über ein Netz von Zwischenhändlern – nach dem Vorbild des illegalen Drogenhandels. Die chemischen Substanzen kaufte die Bande vorwiegend billig in Osteuropa ein.
Die Ermittler beschlagnahmten in dem Labor 600 Kilo Turbo-Tabletten und 50 000 Anabolika-Ampullen, Maschinen zum Pillenpressen sowie Abfüllgeräte. „Das war der erste große Schlag gegen diese neue Form von Organisierter Kriminalität“, so Hauptkommissar Markel.
Die Kraftprotze sitzen trotzdem nicht auf dem trockenen. Der Hamburger Insider Tobias F. nennt andere Handelswege: „Apotheken in Spanien, Griechenland und Thailand verschicken Anabolika per Post an deutsche Hantelakrobaten, die dem Körperwahn verfallen sind.“
Wie sehr Mastbeschleuniger in der Szene gang und gäbe sind, zeigt das Beispiel von Ralf Domke, 29. Der Deutsche Bodybuilding-Meister von 1995 flog vergangene Woche Dienstag zusammen mit einem Sportsfreund an der deutsch-französischen Grenze auf. Die beiden hatten in Barcelona 2000 Anabolika-Pillen eingekauft – für ein Fünftel des in Deutschland üblichen Preises. Domke bereitet sich auf die Weltmeisterschaft im Juni vor – dafür schluckt er nach eigenen Angaben täglich 40 Pillen.